Bestimmt hast Du schon mal vom Beckenboden gehört und weisst, dass er sich „irgendwo da unten“ befindet 🙂 Wahrscheinlich hast Du aber erst während Deiner Schwangerschaft angefangen, Dich mit dem Thema auseinander zu setzen und deshalb viele offene Fragen. Mir ging es ganz genauso. Als Yogalehrerin war mir der Beckenboden (~ Mula Bandha) natürlich bekannt. Aber so richtig hatte ich nie verstanden, was er überhaupt ist, wozu er da ist und warum er in der Schwangerschaft plötzlich so wichtig ist. Mittlerweile ist der Beckenboden eines meiner Lieblingsthemen geworden, da er so bedeutsam für die Gesundheit und leider oft ein Tabuthema ist. In diesem Artikel beantworte ich Dir die wichtigsten Fragen rund um das Thema Beckenboden in der Schwangerschaft, gebe Dir hilfreiche Tipps, sowie eine detaillierte 4-Schritt-Anleitung zum bewussten Training Deines Beckenbodens.
#1 Was ist der Beckenboden?
Um mit dem Beckenboden arbeiten zu können, hat es mir sehr geholfen, genau zu wissen, wie er aufgebaut ist. Deshalb gibt es jetzt erst mal einen kurzen Anatomieunterricht: Der Beckenboden ist nicht nur ein Muskel, sondern ein Geflecht aus drei übereinander gelagerten Muskelschichten und Bindegewebe. Er befindet sich im kleinen Becken und schließt die Bauchhöhle nach unten ab. Jede Muskelschicht hat ihre eigene Funktion.
Die innere Schicht ist wie eine kleine Schale geformt, die Dein kleines Becken komplett nach unten abschließt. Sie ist die größte und stabilste Schicht und trägt das Gewicht von Gebärmutter, Darm und Harnblase. Während der Schwangerschaft muss sie zusätzlich das Gewicht Deines Baby, des Fruchtwassers, der Plazenta sowie der größeren und schwereren Gebärmutter tragen. Bis zur Geburt sind das zusammen ungefähr sechs Kilogramm. Außerdem ist die innere Schicht maßgeblich für die Aufrichtung der Wirbelsäule verantwortlich und gibt Deinem Körper so Stabilität. Auch diese Funktion muss verstärkt werden wenn Du schwanger bist, denn durch den immer größer werdenden Babybauch verändert sich Dein Körperschwerpunkt.
Die mittlere Schicht spannt sich wie ein Fächer quer zwischen Deinen Sitzhöckern auf. Sie liegt im vorderen Bereich Deines Beckens unterhalb Deiner Blase.
Die äußerste Schicht sieht aus wie die Zahl 8 und umschließt die Körperöffnungen Anus, Vagina und Harnröhre. Du kannst sie Dir vorstellen wie eine Hängematte, die von deinem Schambein bis zu Deinem Steißbein reicht. Du entspannst sie mehrmals täglich bewusst, um Deine Blase oder Darm zu entleeren.(1)
#2 Soll man den Beckenboden in der Schwangerschaft trainieren?
Kurz und knapp: Ja! Dein Beckenboden ist in der Zeit Deiner Schwangerschaft starken Belastungen ausgesetzt (siehe #1). Du solltest ihm deshalb ganz besondere Beachtung schenken und trainieren, um schwangerschaftsbedingten Beschwerden und daraus resultierende Spätfolgen vorzubeugen. Achte beim Training immer darauf, dass Du Kraft und Flexibilität der Beckenbodenmuskulatur zugleich trainierst. Beide Eigenschaften sind gleichermaßen wichtig und sollten immer gemeinsam gestärkt werden durch:
- Aktivierende Übungen zur Stärkung der Muskulatur und Förderung der Durchblutung.
- Entspannende Übungen zum bewussten Loslassen und Weiten der Muskulatur, damit sie sich für die Geburt öffnen kann.
Yoga für Schwangere kannst Du perfekt zum Training Deines Beckenbodens nutzen. Übe beispielsweise während Standhaltung (Krieger 2, Göttin, Baum) Deinen Beckenboden über mehrere Atemzüge anzuspannen, hochzuziehen und diese Spannung zu halten. Das schenkt Dir mehr Stabilität. Vor der nächsten Asana entspannst Du Deinen Beckenboden dann wieder bewusst. Eine genau Anleitung, wie Du die Muskeln Deines Beckenbodens ansteuerst, an- und entspannst, findest Du unter #8.
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#3 Warum ist Beckenbodentraining in der Schwangerschaft wichtig?
Eine Schwangerschaft ist eine große Herausforderung für den weiblichen Körper. Oft kommt es deshalb zu Schwangerschaftsbeschwerden, für die nicht selten ein schwacher Beckenboden verantwortlich ist. Hierzu zählt vor allem die Harninkontinenz. Darunter versteht man den unwillkürlichen Abgang von Urin beim Niesen, Hüpfen oder ähnlichen Belastungen. Ursache dafür ist die steigende Belastung der Muskulatur durch das Baby, Fruchtwasser, Placenta etc. Gleichzeitig wird das Gewebe durch das Hormon Progesteron allerdings weicher. 17% – 54% der Schwangeren leiden an einer Harninkontinenz (2), aber nur ein Drittel dieser Frauen sprechen das Problem bei einem Arzt an (3). Viele Frauen sehen es leider als normal an, an Inkontinenz zu leiden, während sie schwanger sind. Das ist definitiv nicht so! „Ein intakter Beckenboden verhindert die Senkung der Beckenorgane und ist […] verantwortlich für den Erhalt der urethralen und analen Kontinenz“, schreiben die Gynäkologen K. Schneider, Husslein und H. Schneider (4) und bekräftigt damit die Wichtigkeit von gutem Beckenbodentraining in der Schwangerschaft.
Oft verschwindet die Inkontinenz auch nicht nach der Entbindung. Jede dritte Frau leidet nach der Geburt an Harninkontinenz (5), die bei 76% dieser Frauen auch 12 Jahre später noch besteht (6). Das ist ein massiver Einschnitt in die Lebensqualität und kann verhindert werden. Des weiteren können Schmerzen im unteren Rücken, an denen 50% aller Schwangeren leiden (7) von einer schwachen Beckenbodenmuskulatur herrühren, denn sie ist maßgeblich für die Aufrichtung der Wirbelsäule zuständig.
#4 Wie oft darf ich Beckenbodentraining in der Schwangerschaft machen?
Du darfst die Muskeln Deines Beckenbodens gerne jederzeit in der Schwangerschaft trainieren. Eine Daumenregel empfiehlt ungefähr 100 Kontraktionen am Tag. Wichtig dabei ist, dass Du Deine Muskulatur immer gleichermaßen anspannst und entspannst, wie unter #2 beschrieben. Außerdem solltest Du beim Anspannen kein „Bodybuilding“ des Beckenbodens betreiben, sondern die Anstrengung moderat halten. Studien zeigen, dass eine mäßige und regelmäßige Trainings-Intensität eine Inkontinenz am besten vermeiden kann.(8)
#5 Bis wann darf ich Beckenbodentraining in der Schwangerschaft machen?
Solange Du Dich fit fühlst und drauf achtest, Kraft und Flexibilität Deiner Beckenbodenmuskulatur gleichermaßen zu trainieren, darfst Du jederzeit Beckenbodenübungen machen. Sie tun Deinem Körper in jedem Trimester gut, auch kurz vor der Geburt.
#6 Was passiert während der Geburt mit dem Beckenboden?
Während der Geburt muss Deine Beckenbodenmuskulatur kurzzeitig ihre Funktionen „Halten und Stabilisieren“ aufgeben. Die rhythmischen Kontraktionen der Gebärmutter schieben Dein Baby nach unten. Sein Köpfchen drückt dann stark auf Deinen Beckenboden und die zuvor kleinen Öffnungen im Muskelgeflecht müssen sich stark dehnen und weit werden, um Deinem Baby den Weg durch den Geburtskanal zu ermöglichen. Das Hormon Progesteron, das sich während der Schwangerschaft in hoher Konzentration in Deinem Körper befindet, unterstützt diesen Vorgang. Es sorgt schon lange vor der Geburt dafür, dass Dein Körpergewebe sich lockert und weicher wird. Gutes Training Deines Beckenbodens kann die Geburt ebenfalls erleichtern, indem der Beckenboden gezielt entspannt und elastisch gehalten wird.
#7 Was bringen Beckenboden Kugeln?
Beckenbodenkugeln sind ein tolles Hilfsmittel, um Deine Beckenbodenmuskulatur zu stärken. Es handelt sich dabei um kleine Gewichte (ca. 20 – 70 Gramm), die wie Kugeln oder Kegeln geformt sind und vaginal eingeführt werden. Damit sie nicht wieder hinausgleiten, musst Du Deinen Beckenboden anspannen und kannst Die Kugeln so halten. Das passiert teilweise unbewusst, durch sogenanntes Biofeedback und teilweile bewusst und reflexartig, zum Beispiel bei Sportübungen. Solange Du die Kugeln trägst, muss Dein Beckenboden mehr arbeiten als gewöhnlich, was auf Dauer Deine Muskulatur stärkt. Das wunderbare ist, das Du dieses Training ganz einfach in Deinen Alltag integrieren kannst. Du kannst die Kugeln während einem Spaziergang oder beim Yoga tragen und intensivierst so Dein Training. Achte bei der Benutzung von Beckenbodenkugeln bitte immer auf eine gute Hygiene und das bewusste Entspannen der Muskulatur nach dem Entfernen der Kugeln. Auch solltest Du die Kugeln nicht zu lange Tragen, um die Muskulatur nicht zu verkrampfen oder sogar einen Muskelkater zu bekommen (ja, das ist möglich :)). Die Hersteller geben meist eine Tragezeit zwischen 15-60 Minuten an. Wenn Du mehr Details und Produktempfehlungen suchst, kann ich Dir diesen Artikel von Jana vom Hebammenblog empfehlen.
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#8 Übungen
Jetzt geht´s ans Eingemachte: Beckenbodenübungen. Ich habe Dir hier eine detaillierte 4-Schritt-Anleitung erstellt, mit der Du lernen wirst, Deine Beckenbodenmuskulatur zur erspüren und zu trainieren. Da Du Deinen Beckenboden leider nicht sehen kannst, siehst Du auch nicht, ob Du ihn gerade entspannst oder anspannst. Der erste Schritt ist deshalb das Erspüren der Beckenbodenmuskulatur. Nur so kannst Du sie gezielt ansteuern. Das Erspüren des Beckenbodens fällt manchen Frauen leichter, bei anderen (so auch bei mir), kann es Tage dauern. Lass Dir Zeit und lass Dich auf keinen Falls entmutigen. Es ist nur eine Sache des richtigen und kontinuierlichen Trainings. Dein Gehirn muss den „Trampelpfad“ zu Deinem Beckenboden erst kreieren.
Schritt 1: Erspüren
- Suche Dir einen ruhigen Ort, an dem Du ungestört bist.
- Finde einen bequemen Sitz, in dem Du gut aufrecht sitzen kannst. Nutze dafür gerne einen Stuhl oder ein Sitzkissen auf dem Boden.
- Visualisiere Deinen Beckenboden in Deinem unteren Becken.
- Sauge fest an Deinem Daumen 🙂 Spüre, was sich dabei in Deinem unteren Becken tut, denn Dein Beckenboden wird durch das Saugen aktiviert.
- Wiederhole diese Übung ein paar mal. Bleibe dabei konzentriert und präsent. Beckenbodentraining kann mental sehr anstrengend werden.
- Falls Du beim ersten Mal nichts spürst, ist das völlig normal. Nimm Dir vor, diese kleine Übung in den nächsten 6 Tagen täglich durchzuführen. Probiere das Erspüren auch in verschiedenen Körperpositionen aus, z.B. auf der Seite, auf dem Rücken oder im Stehen.
Schritt 2: Die äußerste Schicht
Nachdem Du grundsätzlich Deinen Beckenboden spürst, kannst Du anfangen, die einzelnen Muskelschichten bewusst anzusteuern. So kannst Du sicher sein, dass Du am Ende auch den ganzen Beckenboden trainierst und nicht nur einen Teil davon. Bei der Rückbildung wirst Du dann auch genau wissen, wo genau Deine Beckenbodenmuskulatur den höchsten Rückbildungsbedarf hat.
- Suche Dir einen ruhigen Ort, an dem Du ungestört bist.
- Finde einen bequemen Sitz, in dem Du gut aufrecht sitzen kannst.
- Visualisiere die „Hängematte“, die von Deinem Schambein bis zu Deinem Steißbein reicht
- Visualisiere die drei Körperausgänge, Anus, Vagina und Harnröhre als Löcher in dieser Hängematte.
- Versuche nun die Muskulatur um den Anus abwechselnd anzuspannen und zu entspannen. Dies kannst Du wie ein Blinzeln oder ein Klatschen visualisieren. Wiederhole dies konzentriert für zehn Wiederholungen und entspanne dann Deinen ganzen Beckenboden bewusst.
- Versuche nun die Muskulatur um die Vagina abwechselnd anzuspannen und zu entspannen. Wiederhole dies konzentriert für zehn Wiederholungen und entspanne dann Deinen ganzen Beckenboden bewusst.
- Versuche nun die Muskulatur um die Harnröhre abwechselnd anzuspannen und zu entspannen. Wiederhole dies konzentriert für zehn Wiederholungen und entspanne dann Deinen ganzen Beckenboden bewusst.
- Falls Du beim ersten Mal nichts spürst, ist das völlig normal. Nimm Dir vor, diese kleine Übung in den nächsten 6 Tagen täglich durchzuführen. Probiere das Erspüren auch in verschiedenen Körperpositionen aus, z.B. auf der Seite, auf dem Rücken oder im Stehen.
Schritt 3: Die mittlere Schicht
- Suche Dir einen ruhigen Ort, an dem Du ungestört bist.
- Finde einen bequemen Sitz, in dem Du gut aufrecht sitzen kannst.
- Bringe Deine Hände unter Deine Sitzhöcker, so dass Deine Handflächen zu Po zeigen. Die rechte Hand unter den rechten Sitzhöcker, die linke Hand unter den linken Sitzhöcker.
- Versuche nun die Muskulatur zwischen Deinen Sitzhöckern anzuspannen und zueinander zu ziehen. Wiederhole dies konzentriert 10 x und entspanne dann Deinen ganzen Beckenboden bewusst.
- Falls Du beim ersten Mal nichts spürst, ist das völlig normal. Nimm Dir vor, diese kleine Übung in den nächsten 6 Tagen täglich durchzuführen.
Schritt 4: Die innere Schicht
- Suche Dir einen ruhigen Ort, an dem Du ungestört bist.
- Finde einen bequemen Sitz, in dem Du gut aufrecht sitzen kannst.
- Visualisiere am unteren Ende Deines Beckenboden einen Fahrstuhl. Mit dem Einsetzen der Ausatmung schließe die Fahrstuhltür, indem Du die unteren beiden Schichten anspannst. Anschließend lässt Du den Fahrstuhl nach oben Richtung Zwerchfell fahren. Mit der Einatmung lasse den Fahrstuhl wieder nach unten fahren und öffne die Tür, indem Du den ganzen Beckenboden bewusst entspannst.
- Wiederhole dies konzentriert 10 x und entspanne dann Deinen ganzen Beckenboden bewusst.
- Falls Du beim ersten Mal nichts spürst, ist das völlig normal. Nimm Dir vor, diese kleine Übung in den nächsten 6 Tagen täglich durchzuführen.
Fazit
Ich hoffe, ich konnte mit diesem Artikel den Beckenboden aus Deiner Tabuzone befreien. So viele meiner Freundinnen litten oder leiden immer noch an Begleiterscheinungen eines schwachen Beckenbodens. Sie können nicht herzhaft lachen oder mit den Kindern um die Wette laufen und das kann mit dem richtigen Wissen um die Beckenbodenmuskulatur verhindert werden. Je mehr Frauen darüber sprechen und ihr Wissen austauschen, desto besser. Ich kann Dir deshalb nur empfehlen, Dich frühzeitig mit diesem wunderbaren Teil Deines Körpers auseinander zu setzen und gut für Dich zu sorgen mit richtigem und kontinuierlichem Training. Nimm Dir täglich einige Minuten Zeit für Dich und Deinen Beckenboden. Übrigens: In meinem Online Yogakurs Yoga für Schwangere gibt es Beckenbodenübungen in jedem Kurs! So schaffst Du die besten Voraussetzungen für eine entspannte Schwangerschaft und Geburt. Von der postnatalen Zeit mal ganz abgesehen 😉
Dir hat der Artikel gefallen? Ich freue mich sehr über Dein Kommentar, Deine Fragen oder wenn Du den Artikel mit Freundinnen teilst.
Deine
Referenzen
(1) Die Geburtshilfe, Karl-Theo M. Schneider, Peter Husslein, Henning Schneider, 2015, 5. Auflage, Seite 840 f.
(2) Die Geburtshilfe, Karl-Theo M. Schneider, Peter Husslein, Henning Schneider, 2015, 5. Auflage, Seite 852
(3) Lenzen-Schulte, Martina, Deutsches Ärzteblatt 2020; 117(42): A-1982 / B-1683, Aufruf 22.09.2022
(4) Die Geburtshilfe, Karl-Theo M. Schneider, Peter Husslein, Henning Schneider, 2015, 5. Auflage, Seite 840
(5) David H. Thom,Guri Rortveit, Prevalence of postpartum urinary incontinence: a systematic review, 5.1.2011, Aufruf 22.09.2022
(6) C. MacArthur et.al., Urinary incontinence persisting after childbirth: extent, delivery history, and effects in a 12–year longitudinal cohort study, 2.4.2015, Aufruf 22.09.2022
(7) Hebammen-Gesundheitswissen für Schwangerschaft, Geburt und die Zeit danach, Silvia Höfer, Nora Szász, 2012, Seite 83
(8) Die Geburtshilfe, Karl-Theo M. Schneider, Peter Husslein, Henning Schneider, 2015, 5. Auflage, Seite 852